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Schlüsselmusik

Zu singen wie die Hirschkuh am Morgen

In der Bibel ist Musik – von der Zither kurz nach der Vertreibung aus dem Paradies bis zu den Posaunen am Jüngsten Tag

Von Martin Vorländer

© GettyImages / chameleonseyeEin Widderhorn, auf Hebräisch »Schofar«. Damit intonieren Jüdinnen und Juden das neue Jahr »Rosch ha-Schana« und den Jom Kippur, den großen Versöhnungstag.

Das kürzeste Musikstück in der Bibel: »Halleluja!« Heißt übersetzt: Lobt Gott! Singt, jubelt, macht heiligen Krach mit Pauke und Widderhorn, Harfe und Rasseln. Wenn es darum geht, den Schöpfer zu loben, können sogar Flüsse in die Hände klatschen und Berge juchzen.

Ein Psalm Davids, vorzusingen, nach der Weise ›Die Hirschkuh der Morgenröte‹.« So lautet die musikalische Anweisung zu Psalm 22. Wie mag das geklungen haben? Röhrend wie eine Hirschkuh, aber bitte nicht zu laut, denn man will die Leute ja nicht unsanft in der Morgenröte aus dem Bett hauen? Die Psalmen im Alten Testament sind das Jahrtausende alte Gesangbuch Israels. Über vielen dieser Lieder stehen solche Hinweise wie der mit der Hirschkuh, wie man sie musizieren und singen soll. Heute kann man nicht mehr rekonstruieren, was für Melodien das waren. Klar aber ist: Musik spielt eine große Rolle in der Bibel. Die Menschen im Alten und Neuen Testament wissen, dass Musik begeistert, tröstet, düstere Gedanken vertreibt, der Liebe und der Klage eine Stimme gibt. Sie wissen auch, wie man mit Musik den Kampfgeist im Krieg aufstachelt und den Feinden Angst einjagt. Alle Bereiche des Lebens – Arbeit, Liebe, Geburt und Tod, waren von Liedern durchdrungen.

Musik verstärkt, was an Gefühl in einem Menschen ist

Musik ist natürlich älter als die Bibel. Die Israeliten im Alten Testament konnten auf Musiktechniken und Instrumente zurückgreifen, die lange vor ihnen entstanden waren. Die ältesten bislang bekannten Musikinstrumenten stammen aus der Steinzeit. Auf der Schwäbischen Alb haben Archäologen Flöten gefunden, die bis zu 40 000 Jahre alt sind. Sie sind aus Knochen von Schwänen, Geiern und aus Mammutelfenbein gemacht.

Im biblischen Israel waren die Handtrommel, Zimbeln (das sind kleine Teller aus Bronze, die man mit den Fingern aneinander schlägt), Rasseln aus Ton und das Widderhorn, auf Hebräisch »Schofar« besonders beliebt. Die Königin der Instrumente im Alten Orient war die Leier, eine Art Zither, die man in der Hand hält. Sie kommt gleich am Anfang der Bibel vor, nachdem Adam und Eva aus dem Garten Eden rausgeflogen sind und Kain seinen Bruder Abel erschlagen hat (1. Mose 4,21).

Musikinstrumente werden in der Bibel selten einzeln, sondern meistens zu mehreren aufgezählt. Musik verbindet. Sie ist ein Ereignis, das Menschen zusammenbringt. Das Singen ist eine intensive Form des Lebens. Der ganze Körper ist beteiligt von den Füßen für den guten Stand über das Zwerchfell, das stützt, und die vibrierende Kehle bis hin zur Resonanz in den Nasennebenhöhlen. Musikinstrumente sind wie eine raffinierte Erweiterung des menschlichen Körpers.

Musik verstärkt, was an Gefühl in einem Menschen ist. Die Israeliten können ihr Glück noch nicht fassen, als Mose sie trockenen Fußes durch das Rote Meer geführt hat und ihre ägyptischen Verfolger darin ertrunken sind. Da haut Mirjam, die Schwester von Mose, auf die Pauke und stiftet alle Frauen zum Freudentanz an. Mirjam singt: »Lasst uns dem Herrn singen, denn er ist hoch erhaben; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt.« (2. Mose 15,21) Dieses Lied ist vermutlich eines der ältesten Texte in der Bibel. Man spürt bis heute die Freude über die Rettung und schluckt zugleich, dass sie mit dem Tod von »Ross und Reiter« einhergeht.

Musik bringt Mauern zu Fall und holt Tote aus den Gräbern

Musik ist Kult. Es liegt in der Natur der Bibel, das in ihr vor allem Lieder zum Lob Gottes, Gesänge für den Kult im Tempel und für den Gottesdienst überliefert sind. Musik versetzt in den Himmel. Gott loben ist das vornehmste Geschäft der Engel. Der Prophet Jesaja wird in einer Vision in den Thronsaal Gottes versetzt. Die Serafim, geflügelte Wesen, rufen sich zu: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!« (Jesaja 6,3) Das singen heute auch Christinnen und Christen beim Abendmahl. Bereits für die ersten Nachfolger Jesu war Musik eine Herzenssache. »Mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen«, fordert der Schreiber des Kolosserbriefes die Gemeinde auf (Kolosser 3,16).

Schon in Worten liegt Musik. »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle«, schreibt Paulus. Die Liebe lässt einen Menschen nicht hohl, sondern voll klingen wie ein Symphonie. In Paulus’ Sätzen über die Liebe schwingen Rhythmus und Melodie. Aus gutem Grund nennt man dieses Kapitel aus seinem Brief an die Gemeinde in Korinth »das Hohelied der Liebe« (1. Korinther 13).

Der Musiker schlechthin in der Bibel ist König David. Der war ein Multitalent. Er war nicht nur der Haudrauf, der mit einer Steinschleuder Goliat erschlägt. Er konnte auch zarte Saiten anschlagen. Den Grundstein für seine Karriere am Königshof legte er vorher schon mit seiner Begabung als Musiktherapeut. David konnte so gut die Leier spielen, dass Traurige wieder fröhlich wurden. Sein prominenter Patient war König Saul. Den überfiel immer wieder »ein böser Geist«, wie es in der Bibel heißt. Man kann an eine Depression denken. Wenn David auf der Leier spielte, »erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm«. (1. Samuel 16,23) Wegen dieses Talents sind viele Psalmen in der Bibel David zugeschrieben.

Musik hat Macht. Das zeigt die Geschichte, wie die Israeliten Jericho erobern. Die Stadt galt als uneinnehmbar. Da trägt Gott Josua, dem Anführer der Israeliten, auf: Lass sieben Priester sieben Widderhörner blasen und sieben Tage um die Stadt ziehen. Am siebten Tag sollen die Stadtmauern von Jericho unter dem Schall eingestürzt sein (Josua 6). Hörner können Mauern erschüttern, Posaunen Tote aus ihren Gräbern holen. So stellt sich der Apostel Paulus den Jüngsten Tag vor. Die Posaune Gottes ertönt. Die Verstorbenen stehen auf und werden mit den Lebenden auf den Wolken entrückt (1. Thessalonicher 4,13-18). Noch am Ende wird Musik sein.

Musik hat in der Bibel viele Wirkungen. Vor allem aber ist sie Lob Gottes. Seine Hymne klingt, singt, summt und brummt in der ganzen Schöpfung. »Alles, was Odem hat, lobe Gott!«, intoniert Psalm 150 das große Lied auf Gott. Insofern kann auch die Hirschkuh in der Morgenröte ein Halleluja auf ihren Schöpfer röhren.

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Maria sprach:
"Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes.
Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen."

(nach Lukas 1,46-55)

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