Kirchenmusik als Gemeindemusik
Von Christa Kirschbaum, Landeskirchenmusikdirektorin Zentrum Verkündigung der EKHN
Die evangelische Kirchenmusikgeschichte ist ein fünfhundert Jahre altes Erfolgsmodell. Sie war stets geprägt von der Weiterführung guter Traditionen, die bei Bedarf an die aktuelle Situation angepasst wurden, und die Entwicklung und Präsentation „unerhörter“ Musik.
Die Musik der Kirche wurde seit dem Mittelalter von Profis gemacht. Der neue reformatorische Impuls, die Gemeinde am Gottesdienst zu beteiligen, wurde vor allem über das gemeinsame Singen umgesetzt. Davon ausgehend entwickelte sich eine großartige evangelische Kirchenmusikpraxis, die zunächst von den Schulchören, in der Barockzeit von Berufsmusikern verstärkt, seit dem 19. Jahrhundert von engagierten Laien in Kirchenchören und Posaunenchören getragen wurde.
Waren die Orgeln zunächst das musikalische Gegenüber zum Gesang, kam ihnen ab dem 17. Jahrhundert die einleitende und begleitende Rolle zu. Als eigenständige musikalische Gattung entwickelte sich das Choralvorspiel.
Ausdruck und Eindrücke mit Musik
Musik kann den Glauben ausdrücken, sie kann aber auch starke neue Eindrücke vermitteln.
Kirche war lange Zeit das akustische Laboratorium zur Entwicklung ganz neuer Klänge. Das wünsche ich mir wieder stärker in unserer kirchenmusikalischen Praxis: Lust auf neue musikalische Erfahrungen mit offenen Ohren und Herzen!
Hören und Singen, ein Instrument spielen oder Tanzen: für die Musik der Kirche braucht es begeisterte Menschen und kundige Anleitung. Deshalb haben die deutschen Kirchen nach der Trennung von Kirche und Staat 1918 den Beruf des hauptamtlichen Kirchenmusikers entwickelt und seit 1945 entsprechende Stellen eingerichtet. Zunächst war das Berufsbild an Chorleitung und Orgeldienst ausgerichtet. In den vergangenen sechzig Jahren hat es sich enorm erweitert: Kinderchorleitung, Bläserchorleitung, Popularmusik, Arbeit mit Instrumentalgruppen, Orchestern und Bands, Unterrichten und Musikvermittlung gehören zu den vielfältigen Aufgaben.
Herausforderungen
Waren die hauptberuflichen Kantoren, gerade in den ländlichen Gegenden, oft die einzigen Profimusiker mit öffentlicher Wirksamkeit, ist Kirchenmusik heute eines von vielen Angeboten auf dem großen Markt der musikalischen Möglichkeiten.
Das stellt unsere Praxis vor neue Herausforderungen. Nehmen wir den reformatorischen Impuls zur Beteiligung aller auf, ist ein Blick auf die Gemeindesituation erforderlich:
Wie setzt sich die Gemeinde zusammen? Was gibt es an Musik, an Gruppen, an Einzelnen, die sich für die Musik in der Kirche begeistern lassen? Die Kantorei, die mit ihren oratorischen Konzerten regelmäßig den Kirchenraum füllt? Der Kinderchor, der seine biblischen Musicals mit Begeisterung in der Kirche aufführt? Die Seniorencombo, in der Musikerinnen und Musikern nach der Berufsphase zusammen swingen? Der Blockflötenkreis mit seiner Vorliebe für die Musik der Renaissance und des Barock? Frau Schmidt spielt Saxophon, Herr Müller Akkordeon, Frau Meier Querflöte. Wie können sie sich beteiligen?
Das gemeinsame Singen bedarf einer besonderen Pflege. Singen als musikalische Basisqualifikation und Erkennungsmerkmal des Protestantismus verliert rasant an Rückhalt. Immer öfter erlebe ich, dass Menschen in unseren Kirchen und Gemeindehäusern nicht singen (können oder wollen). Dabei ist Singen doch ganz einfach: ich habe mein Instrument immer dabei, der Einsatz kostet nichts, ich kann schnell mit Anderen musikalisch zusammenkommen. Ich muss mich nur trauen…
Obacht: Irgendjemand muss die Musik organisieren und anleiten
Zum Anleiten werden regionale und zentrale Aus- und Fortbildungen über das Zentrum Verkündigung angeboten. Zur Organisation vor Ort in den Gemeinden und Dekanaten kann die Dekanatskonzeption für Kirchenmusik unterstützen. Dabei muss keine Gemeinde alles allein machen. In einem Zweckbau der 1960er Jahre ist eine Gregorianik-Schola musikalisch nicht angemessen, in der Hallenkirche aus dem 14. Jahrhundert verliert sich rhythmisch akzentuierte Popularmusik im Nachhall. Und natürlich braucht es Menschen, die die Musikausübung tragen. Wo es eine Streichergruppe gibt, aber kein Schlagzeug, ist Barockmusik die bessere Wahl – und umgekehrt. Allerdings können die Musikgruppen sich besuchen und kooperieren. Warum soll der Posaunenchor aus A-Dorf nicht auch im Gottesdienst in B-Dorf spielen, die Band aus C-Stadt auch in D-Stadt? Sind gemeinsame Anstellungsträgerschaften oder Co-Finanzierung denkbar?
Formen gemeindlicher Kirchenmusikpraxis
Neben der gewohnten gottesdienstlichen Musik und Konzertreihen sind viele andere Musikformate denkbar, z.B.
- Offene Singen, klassisch oder kreativ, z. B. mit dem EGplus, dem Beiheft zum Evangelischen Gesangbuch. EGplus enthält viele Chorsätze und Kanons, so dass schnell ein mehrstimmiger Gesang entstehen kann
- Instrumentalist*innen aus der Gemeinde spielen im Gottesdienst: Melodien der Gemeindeliede, (auch mal ohne weitere Begleitung) oder Oberstimmen zum Gemeindegesang sowie eigenes Repertoire
- Projekte gemeinsamen Singens: Schola als Vorsängergruppe im Gottesdienst zur Stärkung und Stütze der Sonntagsgemeinde; Beerdigungs-Chor für kirchliche Trauerfeiern; Krankenhaus-Kurrende singt von Station zu Station
- Projektchor/Singgruppe aus Kita- oder Konfi-Eltern; Chor der Silber- oder Gold-Konfirmand*innen
- eine Gemeindegruppe singt ihre Lieblingslieder aus dem EG mit der Gemeinde im Gottesdienst („Top Ten des Frauenkreises“)
- Chorangebot mit ungewohnter Probenzeit/Aufführungszeit: Vormittagschor für Eltern mit paralleler Kinderbetreuung, Nachmittagschor für Senior*innen, Nachtsingen (Taizé-Chorsätze in der von Kerzen erleuchteten Kirche)
- Tea-Time-Orchester: (Sonntags) nachmittags um 17 Uhr
- Musikalische Kirchenraumerkundungen (Material im Materialbuch 116 „Lebensräume“ des Zentrum Verkündigung)
- Großeltern-Enkel-Singen: alte und neue Kinder-, Volks- und geistliche Lieder, auswendig singen, mit Bewegungs- und Tanzelementen
- Flashmob vokal oder instrumental
- Spontan-Orchester spielt die mehrstimmigen EG- und EGplus-Liedsätze im Gottesdienst– alle Instrumente sind eingeladen und erlaubt, auch Kazoo und Thüringische Waldzither
- Gemeindeprojekt: Unsere Lieblingslieder – in allen Gruppen erfragen, auswerten, aufführen
- Monatslieder: pro Monat/Kirchenjahreszeit wird ein Lied in allen Gruppen und Gottesdiensten gesungen, dazu Infos im Gemeindebrief und Liedpredigt
- Komponistenportrait mit Hören und Singen/Musizieren
- „Meisterkurs für Zuhörende“ auf der Orgelempore (kommentiertes Orgelkonzert)
- Über den gemeindlichen Tellerrand hinausschauen, kooperieren und sich vernetzen: Weltliche Chöre und Instrumentalgruppen zur Mitwirkung in der Gottesdienst einladen; Schulchöre in der Schule am Ort besuchen, mit ihnen proben, das Erarbeitete (in der Kirche) aufführen
- Orgelvorführungen für Schulklassen (Musikunterrichtsstunde), Musikschulgruppen, örtliche Vereine (zahlreiche Ideen in Materialbuch 123 „Orgel für alle“ des Zentrum Verkündigung)
Aus: Impuls Gemeinde 1/2017, Zentrum Verkündigung der EKHN Frankfurt, 2017
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Musikalische Angebote sämtlicher Kirchengemeinden im EKHN-Gebiet
Hier finden Sie einen Überblick über die musikalischen Angebote in den Kirchengemeinden der EKHN-Region. Sei es der Kirchen- oder Jugendchor, von der Flötengruppe bis zum großen Orchester. Diese Liste umfasst alle Gemeinden mit einem musikalischen Angebot, derzeit ca. 700 Gemeinden.